Elementare Fehler Nr 113 + Nr 115

"Missverständlich und übertrieben" ist noch die freundlichste Bewertung einer Mitteilung des Paul Scherrer Instituts in Villigen/Schweiz. Das Institut hatte mit einer Pressemitteilung vom 31. Januar verkündet, Zwei superschwere Elemente entdeckt zu haben. Doch damit hat das eigentlich als seriös und verlässlich bekannte schweizerische Forschungsinstitut nicht nur etwas zu hoch gegriffen, sondern auch Journalisten wurden ob der Falschmeldung verärgert, F.A.Z. und Berliner Zeitung druckten sie sogar ab.

Um mehr über den Aufbau der Materie zu verstehen, unterziehen Physiker die Atome und deren Kernbausteine ziemlich großen Belastungstests. Einer ist, Atomkerne aufeinander prallen zu lassen, diese damit zu verschmelzen und immer schwerere Kerne zu produzieren. Derzeit liegt man bei Elementen mit Ordnungszahlen (=Anzahl der Protonen im Kern) von über 110. Und ist wieder einmal ein neues, noch schwereres Element erzeugt, so rauscht's im Blätterwald — will sagen: Jedem Presseorgan ist's eine Nachricht wert.

Das muss man auch beim Paul Scherrer Institut gedacht haben. Denn der Titel "Zwei superschwere Elemente entdeckt" schafft zwar Aufmerksamkeit, ist aber schlicht falsch. Wie schon Wikipedia für Element 113 und Element 115 nahelegt. Besser wäre "Nach zwei Jahren endlich: Entdeckung der Elemente 113 und 115 bestätigt".

Zwei Opfer der "Falschmeldung" habe ich gefunden: Die F.A.Z. meldet am 2.2.2006, Seite 38, unter dem Titel "Superschwere Kerne/Geburt der Elemente 115 und 113": "Gleich zwei neue schwere Elemente der Ordnungszahlen 115 und 113 hat jetzt offenbar eine internationale Forschergruppe am Kernforschungszentrum in Dubna bei Moskau nachgewiesen."

Das Kuriosum: Vor exakt zwei Jahren hat das die F.A.Z schon einmal gemeldet. Hier der Link zur Meldung vom 2.2.2004.

Und die Berliner Zeitung schreibt unter dem Titel "Zwei neue superschwere Elemente entdeckt": "Schweizer Forscher haben zusammen mit Kollegen aus den USA und aus Russland zwei neue superschwere Elemente hergestellt." Prima. Ziel erreicht.

Die Mitteilung des schweizerischen Paul Scherrer Instituts ist eher "missverständlich und übertrieben", erläuterte mir Prof. Sigurd Hofmann von der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt. "Das entscheidende Experiment war schon vor zwei Jahren gewesen." Das schweizerische Experiment könne man hingegen als notwendige und wichtige Bestätigung auffassen. Das ist zwar für die Forschung relevant, über die Nachrichtenschwelle der Medien kommt man damit aber mit zwei Jahren Verspätung nicht rüber.

Nun steht es der Presseabteilung des PSI (Zitat Hofmann: "Die Chemiker des PSI hätten das sicher nicht so geschrieben.") zweifelsohne frei, so lange herum zu formulieren, bis das PSI in bestem Lichte erscheint. (Eine bewußte Irreführung unterstellen wir nicht!) Doch sollten in jedem Falle gewisse Grundsätze beachtet werden, was auf PR- und Journalistenseite wohl zum Handwerk gehören dürfte. Das Wo in der Mitteilung des PSI lässt sich nur erahnen. Das Wann wird erst garnicht erwähnt, ist hier aber die entscheidende Info, um den Nachrichtenwert zu beurteilen. Wir zücken unser Stilbuch:
  • elementare Regel Nr. 113 für Pressemitteilungsschreiber: Der Text sollte klären, Wer, Was, Wo, Wann gemacht hat.
  • elementare Regel Nr. 115 für Journalisten: Der Beitrag sollte klären, Wer, Was, Wo, Wann gemacht hat.
ps. Viola Egikova, Journalistin in Russland und Präsidentin des Verbands der russischen Wissenschaftsjournalisten, hat sich über die "neuesten Nachrichten von diesem Instituts" gewundert, geärgert, geäußert: Die Experimente fanden ihren Recherchen zufolge bereits im Sommer 2003 statt. Eine Journalistenreise der European Union of Science Journalists' Associations (EUSJA) führte sie im September 2003 nach Dubna. Egikova erinnert sich, schon damals mit den russischen Forschern über die Experimente zu den Elementen 113 und 115 gesprochen zu haben.

Eine Anfrage an das Paul Scherrer Institut läuft.

Demnächst mehr, hier bei !PLAZEBOALARM!
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Trackbacks zu diesem Beitrag

timtab - 3. Feb, 10:56

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