Der Nobelpreis, den niemand interessierte

Am Ende der Woche der Nobelpreise für die Naturwissenschaften erlauben wir uns eine pikante Note zum Thema: Haben (wir) Wissenschaftsjournalisten eigentlich die Fähigkeit, die wirklich wichtigen Entdeckungen aus der Flut der Veröffentlichungen herauszufiltern?

Überschrift des Nature-Papers, das den Medizin-Nobelpreis 2006 erhielt.

Die Originalveröffentlichung (das Paper), auf den sich der diesjährige Nobelpreis für Medizin bezieht, wurde 1998 im Fachmagazin Nature veröffentlicht.

Ob wohl jemand darüber berichtet hat, damals? Wir haben mal die Archive der großen deutschen Zeitungen und Magazine für den Zeitraum 1998 und danach durchgescannt (nach den Namen Mello und Fire, Craig Mello, RNA, RNS, RNA Interferenz und Caenorhabditis, das ist der Fadenwurm, an dem die Forscher die neue Technik ausprobiert haben).

Wir können nur sagen: Totale Fehlanzeige. Nada. Nichts. Nicht mal eine kleine Meldung (soweit es die Online-Achive angeht). Die preiswürdige Entdeckung, über die Fire und Mello in der Ausgabe vom 19. Februar 1998 zusammen mit anderen berichten, hat den Sprung in die Publikumspresse nicht geschafft.

Auch bei den beiden großen US-Zeitungen New York Times und Washington Post hat niemand das Nobelpreis-Paper für erwähnenswert gehalten. Auch nicht beim englischen Guardian oder der BBC.

Erste Artikel zum Thema RNS-Interferenz tauchen etwa 2003 2001 auf (z.B. in der F.A.Z., am 26.5. Einundzwanzig und am 30.5. Ein genetischer Schalter für Säugerzellen, kostenpflichtiges Archiv. Im ersten Artikel heißt es übrigens RNA-Interferenz, im zweiten RNS-Interferenz).

Woran liegt es wohl, dass "alle" die denkwürdige Entdeckung verpasst haben?

Vielleicht daran, dass Natures Presseabteilung das Paper nicht besonders hervorgehoben hat. In Nature selbst gab es zwar einen begleitenden Kommentar in der Sektion News & Views, was immer schon mal ein Hinweis darauf ist, dass etwas bedeutendes passiert ist. Aber das war´s auch schon, wie wir auf Anfrage erfahren.

"Ich habe mal nachgesehen, aber wir haben damals das Paper nicht durch Pressetexte gefeatured", schreibt uns die freundliche Ruth Francis, Senior Presse Officer bei Nature auf unsere E-Mail-Anfrage.

Schon damals hat Nature ausgewählte Paper mit kurzen Zusammenfassungen auf ein für Journalisten schneller begreifbares Niveau heruntergebrochen. Diesen Service bieten zum Beispiel auch Science, die britische Royal Society oder die amerikanische Nationale Wissenschaftsakademie. Über diesen Presseservice können Journalisten auch das Original-Paper bis zu einer Woche vor dem Veröffentlichungstermin bekommen, um so etwas mehr Zeit für die Recherche zu haben.

Nur das Nobelpreis-Paper hat offensichtlich niemanden interessiert. Wer mal einen Blick darauf wirft, versteht auch warum.

Auch der Kommentar bringt einen nicht wirklich weiter, wenn man nicht Herr der Materie ist. Irgendwie hat man zwar das Gefühl: "Ja, die Kommentatoren finden das schon wichtig, aber der Nobelpreis?"

Also, denken Sie dran, wenn Sie künftig die Wissenschaftsseiten lesen: Auch wenn es noch so spannend ist, die größte Entdeckung könnte uns und Ihnen gerade wieder durch die Lappen gegangen sein.

Nachtrag:
Naja, wie soll die Presseabteilung und die Journalie das Potenzial der Entdeckung erkennen, wenn selbst Fire und Mello anfangs skeptisch waren.

Die beiden Forscher hielten die Interferenz anfangs für einen "möglicherweise verrückten, auf den Wurm beschränkten Mechanismus", wie uns Sascha Karberg in seinem lesenwerten Beitrag in der Zeit erzählt.
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