Pharma

Eltern schreiben die Zeugnisse ihrer Kinder

Es gibt diese Sätze, die manchmal einfach alles so viel klarer machen, die ein Problem so schön verdeutlichen. So einen haben wir in einem Kommentar von Werner Bartens in der SZ gefunden.

Er nutzt den Contergan-Film in der ARD, um auf das Problem hinzuweisen, dass sich die Behörden bei der Zulassung eines Medikaments immer noch nur auf die Studienergebnisse der jeweiligen Pharmafirmen verlassen und nicht auf unabhängige Untersuchungen.

Warum das so problematisch ist, verdeutlicht er mit folgendem Vergleich:
"Würde man die gegenwärtige Praxis der Arzneimittelzulassung auf die Schule übertragen, hieße das, dass Eltern die Zeugnisse ihrer eigenen Kinder schreiben dürfen."
So einfach ist das manchmal.
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Warum die Apotheke kein Aldi ist

Wir hatten ja schon darauf verwiesen, dass Apotheker keine Ärzte sind. Deshalb erwarten wir auch nicht all zu viel, wenn es um die Einschätzung der Wirksamkeit freiverkäuflicher Arzneimittel u.a. geht. Zumindest zeigte das Beispiel, dass es damit nicht weit her ist (aber es gibt sicher auch andere Fälle).

Apotheker sind eben auch Kaufleute. Allerdings eher in einem System, das wenig von Markt getriebenen Preisen hält. Wer sich jemals wunderte, warum ein Mittel wie Aspirin in praktisch jeder Apotheke das gleiche kostet (z.B. 4,97 €), der erfährt bei Kollege Grill die Gründe dafür (über strappato).

Markus Grill nennt im letzten Absatz noch ein paar weitere Beispiele für Präparate, die bei praktisch allen Apothekern das gleiche kosten.

Wir weiten die Kampfzone noch ein wenig aus.

Das Magazin Gute Pillen - Schlechte Pillen präsentiert seit längerem regelmäßig Preisvergleiche der "unverbindlichen Preisempfehlungen" der Hersteller, aus denen man ersehen kann, dass Nachahmer-Präparate billiger sind als die Originale, und dass es dort durchaus deutliche Preisunterschiede bei Präparaten unterschiedlicher Hersteller gibt.

In einem Fall gab es aber ein echtes Preiserlebnis (leider nicht online): Certirizin (gegen Heuschnupfen).

Das Certirizin-Original Zyrtec sollte laut dem April-Heft 2006 37,80€ kosten, pro Dosis waren das 76 Cent.

Die Generika, also die nachgeahmten Präparate, waren zwar billiger, so wie es sein sollte. Nur etwas ist durchaus eigenartig. Schauen Sie mal:

Unverbindliche Preisempfehlung von zehn Generika-Herstellern pro Packung Certirizin zu 50 Tabletten á 10 mg:

Präparat A: 14,81€
Präparat B: 14,81€
Präparat C: 14,81€
Präparat D: 14,85€
Präparat E: 14,85€
Präparat F: 14,85€
Präparat G: 14,85€
Präparat H: 14,85€
Präparat I: 14,85€
Präparat J: 15,20€

Die Kosten pro Dosis laut GPSP umgerechnet: 30 Cent, egal welches Präparat Sie kaufen.

Spüren Sie den erbitterten Wind des Preiskampfes.

Wenn im Fall von Aspirin durch den Hersteller Einfluss genommen wurde, wie Grills Informationen nahe legen, stellt sich doch die Frage: Wie sieht das aus, wenn die gleichen Präparate zehn verschiedener Hersteller den gleichen unverbindlich empfohlenen Preis haben? Welche Marktkräfte wirken da?

Kann uns das mal jemand erklären? Vielleicht ein Apotheker oder ein Pharmavertriebsmensch? (Falls notwendig garantieren wir selbstverständlich Informantenschutz, aber es gibt sicher eine ganz einfache Erklärung dafür.)

Der bekannte Ausspruch: "Das Geschäft ist ja eine Apotheke." bekommt irgendwie einen ganz anderen Dreh, finden Sie nicht auch?
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Ärzte sind nicht bestechlich

Und weil wir gerade beim Thema "Du-lässt-dich-vor-den-Karren-der-Pharmafirmen-spannen" sind (ein Beitrag drunter):

Wir haben alle unsere Gewissheiten und Vorurteile, auf die wir uns verlassen, und die wir immer wieder abrufen, und die wir gerne als Grundlage unserer Einschätzungen und Kommentare nutzen.

Zum Beispiel:
Es gibt eine ganze Menge Ärzte, die nicht unabhängig agieren. Die sich eben "Vor-den-Karren-der-Pharmafirmen-spannen" lassen.

Es tut immer gut, wenn man das hin- und wieder mal von einem Vertreter der angegangen Gruppe selbst hört, dass das auch wirklich so ist.

Ein schönes Beispiel liefert aktuell ein Beitrag in der Fachzeitschrift Psychiatrische Praxis des Thieme Verlages. Dort gibt es ein Pro und Kontra zum Thema: Behindert Sponsoring den Erkenntnisgewinn in der Medizin?

Wir lassen jetzt mal den einen Artikel außer Acht, der das Sponsoring klinischer Studien verteidigt (ob man da von Sponsoring sprechen kann?). Das sollte sich auch aus dieser Pressemitteilungsnews erschließen.

Wir konzentrieren uns lieber ganz auf den Beitrag von Asmus Finzen, Jahrgang 1940, einst stellv. ärztlicher Direktor der Uniklink Basel, inzwischen im Ruhestand. Er hat offensichtlich etwas gegen Sponsoring der Pharmafirmen in der Medizin. Er kennt die ganze Bandbreite.
"Die Kugelschreiber auf unserem Schreibtisch, unsere Terminkalender, ein Teil unserer Fachbücher sind solche Geschenke - wenn wir wichtig sind, gelegentlich sogar ein Laptop. Die meisten Fortbildungsveranstaltungen, die wir besuchen, sind industriegesponsert. Und wenn wir Vorträge halten, nehmen wir (ich auch) gern Honorare entgegen, von denen wir wissen, dass sie gesponsert sind."
Er schreibt zum Beispiel einfache Wahrheiten wie diese:
"Wir sind nicht bestechlich, natürlich nicht - dazu braucht es mehr als einen Kugelschreiber. Aber wenn wir ehrlich mit uns sind, wissen wir, dass es nichts umsonst gibt."
Kurzer Einschub: Zum Thema Pharma-Kugelschreiber schauen Sie bitte einmal hier, auch wenn wir ihn heute schon hatten.

Er kennt sie ganz genau, die kleinen Tricks der Pharmafirmen, mit denen sie sich einen Dr. med. gewogen machen. Es sind diese kleinen menschlichen Schwächen, die sie ausnutzen.
"Es ist schlicht ein Gebot der Höflichkeit, dass wir uns als Referenten nicht allzu kritisch über das Präparat des Hauptsponsors äußern, das diesen erst zum Sponsoring motiviert. Und es ist nur menschlich, dass wir dem sympathischen Repräsentanten dieses Sponsors, mit dem wir einen netten Abend verbracht haben, bei seinem nächsten Besuch aufmerksamer zu hören als einem beliebigen anderen."
Und nur mal, damit das mal vermerkt ist:
"Zu glauben, dass das allgegenwärtige Sponsoring zu einer unabhängigen Meinungsbildung von uns Ärzten beiträgt, ist Traumtänzerei."
Worum es wirklich geht, sagt Herr Finzen, der sich damit all unseren Respekt verdient, natürlich auch.
"Weil es um so viel Geld geht, dient solche Forschung allzu häufig vorrangig dem Ziel, den Patentschutz zu verlängern, ohne dass die Kranken davon profitieren, z. B. durch zweifelhafte Indikationserweiterungen auf Kinder. Zugleich stellen die Arzneimittelhersteller fast immer jede Forschung und die Förderung bewährter Medikamente ein, sobald die ersten Generika auf den Markt kommen."
Nicht, das wir uns falsche verstehen. Herr Finzen findet es völlig legitim, dass Pharmafirmen Geld verdienen wollen. Das sehen wir auch so. Herr Finzen und auch wir sind überzeugt, dass Pharmafirmen und Ärzte auch dasselbe wollen ...
"Aber jenseits dieses gemeinsamen Anliegens (er meint Kranken zu helfen), das uns verbindet, trennen uns widerstreitende Interessen. Das ist von der Natur der Sache her unvermeidbar. Denn die Medizin ist zugleich ein Markt, auf dem es weltweit um Billionen geht. Zu glauben, dass man dessen Versuchungen durch Verhaltenskodizes regeln kann, ist mehr als naiv."
Nur, dass wir das mal hier festgehalten haben für die Öffentlichkeit. In einem Magazin wie der Psychiatrischen Praxis bekommt es ja niemand mit außerhalb der Community.

So, jetzt seid Ihr dran.
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Beholfene Selbsthilfe

Da müssen wir was eingestehen: Irgendwie haben wir immer ein ungutes Gefühl, wenn es um das Thema Selbsthilfegruppen geht: Die Leute haben schon Probleme genug und freuen sich wahrscheinlich über jede Hilfe, die sie kriegen, eben auch von Pharmafirmen. Und dann kommen Journalisten, die ihnen die "Du-lässt-Dich-vor-den-Karren-der-Pharmafirmen spannen"-Keule um die Ohren hauen.

So ungern wir uns des Themas annehmen, es gibt ja andere, die zum Glück nicht solche Weicheier sind wie wir, und die sogar einen differenzierten und kompetenten Blick darauf haben: Kollege strappato bei der stationären aufnahme verweist auf ein aktuelles Beispiel und erklärt auch ein paar Beiträge darunter (allerdings erst auf Nachfrage :-)), warum er diesen - aus Sicht des unbedarften Lesers durchaus gut ausgestatteten Artikel in der FTD - für eher "schlecht recherchiert" hält (wie gesagt: Kommentare lesen).
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