Vorzeitiger Newserguss
Im Folgenden möchten wir dem interessierten Leser verdeutlichen, warum es erstens von Vorteil ist, mehr als eine Zeitung/ein Magazin - sprich Quellen - zu lesen, und zweitens über Kenntnisse in einer zweiten Sprache zu verfügen.
Stellen wir uns vor, die Plazeboalarm-Mitarbeiter leiden kollektiv unter einem Ejaculatio praecox, zu deutsch einem vorzeitigen Samenerguss. Weil uns das natürlich belastet, suchen wir nach möglichen Therapien und interessieren uns grundsätzlich auch für neue Ansätze, über die in der Presse immer wieder mal berichtet wird.
Dabei stoßen wir auf folgenden Artikel in der F.A.Z, übernommen von der dpa. In einem Artikel in der Fachzeitschrift The Lancet berichten Forscher darüber, dass selektive-Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), eine wichtige Gruppe von Antidepressiva, den Samenerguss von unter einer Minute auf über drei Minuten herauszögern können.
Wir erfahren, dass vorzeitiger Samenerguss eine der häufigsten sexuellen Störungen bei Männern weltweit sein soll, und dass die Forscher Plazebos (guck mal, die benutzen die alte Schreibweise wie wir) in der Kontrollgruppe verwendet haben, was die Qualität der Studie belegt. Außerdem haben sie es in gleich zwei Studien untersucht. Einen Hinweis auf die Nebenwirkungen findet man auch.
Hätten wir jetzt nicht weiter gesucht, könnte man das auf sich beruhen lassen. Haben wir aber nicht, nicht weitergesucht. Wir haben weiter gesucht, und wir fanden folgenden Artikel im englischen New Scientist.
Der offenbart dann, was in einem Artikel alles fehlen kann.
In dem F.A.Z./dpa-Artikel ist die eigentliche Meldung, dass SSRI den Samenerguss herauszögern können. Das ist aber gar nichts Neues. Im New Scientist-Artikel erfährt man, dass andere SSRI den Orgasmus sogar weiter herauszögern als das getestete Mittel (eigentlich ist es eine bekannte Nebenwirkung dieser Medikamentenklasse). Das getestete Dapoxetin sei nur der erste SSRI, der speziell gegen vorzeitigen Samenerguss entwickelt worden war, dem aber die amerikanische Zulassungsbehörde im vergangenen Jahr die Zulassung erst einmal verweigert hatte.
Was man auch erfährt: Der Wissenschaftler, den New Scientist-Autor Rowan Hooper zum Thema befragt hat, warnt davor, "dass Ärzte und pharmazeutische Firmen nicht versuchen sollten, das Thema zu pathologisieren und zu medikalisieren ... ". (Was wir auch schon mal als Ausweitung der Krankheits- und Verkaufszone bezeichnet haben.)
Wie er darauf kommt? Der Autor der Lancet-Studie gibt an, zwischen 21 und 33 Prozent der Männer seien davon betroffen. Nur: Geht es da um gelegentliche vorzeitige Orgasmen, die "Mann" schon mal hat, und die zum normalen Sexualleben dazu gehören. Oder um Männer, die ihr Leben lang darunter leiden. Laut dem New Scientist-Experten sind das sehr wahrscheinlich viel weniger. Er geht von ein bis fünf Prozent der Männer aus. Ein typischer Fall von "Wie viele Menschen mit dieser Krankheit gibt es wirklich?"
Und schließlich: Was im F.A.Z./dpa-Artikel völlig fehlt ist der Hinweis, auf den man nur kommt, wenn man statt der deutschen Zusammenfassung einen Blick auf das Original-Paper wirft (an das man als Journalist leicht kommt).
Dort geben die Autoren nämlich am Ende des Artikels ihre "conflicting interests" an, also ihre Interessenskonflikte, die das Ergebnis der Studie beeinflussen könnten.
Dort erfährt man, dass die Autoren alle irgendwie mit der Pharmafirma ALZA verbandelt sind, einer Johnson & Johnson-Tochter. Entweder sind sie Angestellte oder Stipendien-Empfänger oder im Berater-Gremium von ALZA, oder Berater von Johnson & Johnson.
ALZA stellt Dapoxetin her.
Das alles erfährt man aber nicht, wenn man nur den deutschen Artikel in der F.A.Z. liest.
Was bei beiden völlig fehlt (und im New Scientist-Artikel nur angedeutet wird): Der Vorteil von Dapoxetin soll sein, dass man es kuzzeitig einsetzen könne und nicht ständig einnehmen muss, wie andere SSRI. Damit bekommt das Mittel einen Status wie Viagra, dass man eben nach Bedarf "einwirft". Auf diesen Status hofft ALZA sicherlich (und ALZA wird argumentieren, dass betroffene Männer darauf hoffen).
Dazu können wir natürlich nichts sagen, denn wir haben uns ja nur vorgestellt, dass die Plazeboalarm-Redaktion an Ejaculatio praecox leidet ...
Zusatz:
Dass das mit den Zeitangaben als Kriterium für den vorzeitigen Erguss auch nicht der Weisheit letzter Schluss ist, darauf verweist dieser Artikel in der Ärzte-Zeitung.
Stellen wir uns vor, die Plazeboalarm-Mitarbeiter leiden kollektiv unter einem Ejaculatio praecox, zu deutsch einem vorzeitigen Samenerguss. Weil uns das natürlich belastet, suchen wir nach möglichen Therapien und interessieren uns grundsätzlich auch für neue Ansätze, über die in der Presse immer wieder mal berichtet wird.
Dabei stoßen wir auf folgenden Artikel in der F.A.Z, übernommen von der dpa. In einem Artikel in der Fachzeitschrift The Lancet berichten Forscher darüber, dass selektive-Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), eine wichtige Gruppe von Antidepressiva, den Samenerguss von unter einer Minute auf über drei Minuten herauszögern können.
Wir erfahren, dass vorzeitiger Samenerguss eine der häufigsten sexuellen Störungen bei Männern weltweit sein soll, und dass die Forscher Plazebos (guck mal, die benutzen die alte Schreibweise wie wir) in der Kontrollgruppe verwendet haben, was die Qualität der Studie belegt. Außerdem haben sie es in gleich zwei Studien untersucht. Einen Hinweis auf die Nebenwirkungen findet man auch.
Hätten wir jetzt nicht weiter gesucht, könnte man das auf sich beruhen lassen. Haben wir aber nicht, nicht weitergesucht. Wir haben weiter gesucht, und wir fanden folgenden Artikel im englischen New Scientist.
Der offenbart dann, was in einem Artikel alles fehlen kann.
In dem F.A.Z./dpa-Artikel ist die eigentliche Meldung, dass SSRI den Samenerguss herauszögern können. Das ist aber gar nichts Neues. Im New Scientist-Artikel erfährt man, dass andere SSRI den Orgasmus sogar weiter herauszögern als das getestete Mittel (eigentlich ist es eine bekannte Nebenwirkung dieser Medikamentenklasse). Das getestete Dapoxetin sei nur der erste SSRI, der speziell gegen vorzeitigen Samenerguss entwickelt worden war, dem aber die amerikanische Zulassungsbehörde im vergangenen Jahr die Zulassung erst einmal verweigert hatte.
Was man auch erfährt: Der Wissenschaftler, den New Scientist-Autor Rowan Hooper zum Thema befragt hat, warnt davor, "dass Ärzte und pharmazeutische Firmen nicht versuchen sollten, das Thema zu pathologisieren und zu medikalisieren ... ". (Was wir auch schon mal als Ausweitung der Krankheits- und Verkaufszone bezeichnet haben.)
Wie er darauf kommt? Der Autor der Lancet-Studie gibt an, zwischen 21 und 33 Prozent der Männer seien davon betroffen. Nur: Geht es da um gelegentliche vorzeitige Orgasmen, die "Mann" schon mal hat, und die zum normalen Sexualleben dazu gehören. Oder um Männer, die ihr Leben lang darunter leiden. Laut dem New Scientist-Experten sind das sehr wahrscheinlich viel weniger. Er geht von ein bis fünf Prozent der Männer aus. Ein typischer Fall von "Wie viele Menschen mit dieser Krankheit gibt es wirklich?"
Und schließlich: Was im F.A.Z./dpa-Artikel völlig fehlt ist der Hinweis, auf den man nur kommt, wenn man statt der deutschen Zusammenfassung einen Blick auf das Original-Paper wirft (an das man als Journalist leicht kommt).
Dort geben die Autoren nämlich am Ende des Artikels ihre "conflicting interests" an, also ihre Interessenskonflikte, die das Ergebnis der Studie beeinflussen könnten.
Dort erfährt man, dass die Autoren alle irgendwie mit der Pharmafirma ALZA verbandelt sind, einer Johnson & Johnson-Tochter. Entweder sind sie Angestellte oder Stipendien-Empfänger oder im Berater-Gremium von ALZA, oder Berater von Johnson & Johnson.
ALZA stellt Dapoxetin her.
Das alles erfährt man aber nicht, wenn man nur den deutschen Artikel in der F.A.Z. liest.
Was bei beiden völlig fehlt (und im New Scientist-Artikel nur angedeutet wird): Der Vorteil von Dapoxetin soll sein, dass man es kuzzeitig einsetzen könne und nicht ständig einnehmen muss, wie andere SSRI. Damit bekommt das Mittel einen Status wie Viagra, dass man eben nach Bedarf "einwirft". Auf diesen Status hofft ALZA sicherlich (und ALZA wird argumentieren, dass betroffene Männer darauf hoffen).
Dazu können wir natürlich nichts sagen, denn wir haben uns ja nur vorgestellt, dass die Plazeboalarm-Redaktion an Ejaculatio praecox leidet ...
Zusatz:
Dass das mit den Zeitangaben als Kriterium für den vorzeitigen Erguss auch nicht der Weisheit letzter Schluss ist, darauf verweist dieser Artikel in der Ärzte-Zeitung.
von marcus_ | 3. Okt 2006, 12:32 | Kommentieren | 230 Trackbacks
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