Geisterwriter

Ach so, in wissenschafftlichen Studien sollte natürlich nicht nur benannt werden, wer die Brötchen bezahlt hat, sondern auch, wer die ganze Arbeit hatte, also wer sich zum Beispiel um die ganze verdammte Statistik kümmert.

Offenbar ist das nicht jedem klar, und deshalb gibt es solche Arbeiten wie die heutige in PLoS Medicine zum Thema Ghostwriting.

Der Titel des Kommentars zum Paper deutet schon an wo das Problem ist: Autoren, Geister, verdammte Lügen und Statistiker.

In der Untersuchung kam heraus: In 44 von Firmen initiierten/bezahlten Studien gab es 33 Untersuchungen mit Geisterschreibern, in 31 Fällen war dies der Statistiker.

Eine der Routinefrage für unsere Journalistenkollegen bei Firmen gesponsorten Studien müsste also künftig heißen: "Sind denn alle Beteiligten als Autoren genannt?" Oder konkreter: "Wer hat sich denn bei Ihnen um die Statistik gekümmert?"

Schon peinlich, dass man das fragen muss, oder?

Und warum ist das wichtig: Weil die verdammte Statistik so unendlich viele Möglichkeiten bietet Einfluss zu nehmen. Deswegen machen Firmen das gerne selbst.
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Gesüßte Limostudien, open access

Und warum ist es wichtig, dass die Forschung unabhängig ist (wie im Beitrag vorher als unabdingbar identifiziert)?

Weil Abhängigkeit Ergebnisse beeinflusst. Auch dafür gibt es einen schönen Spruch: "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing." (Haben wir immer wieder darauf hingewiesen.)

Dass das nicht nur für medizinische Forschung gilt, sondern auch für andere Forschungszweige, ist klar, muss aber im Einzelfall immer wieder auch belegt werden – wie in dieser Woche für die Nahrungsmittelindustrie (eigentlich US, aber da das ja alles inzwischen globalisiert ist, nehmen wir die anderen gleich mit in Sippenhaft.)

In PLoS Medicine veröffentlichen US-Forscher eine Untersuchung, in der sie einen Bias (Bias, verdammt, was war das noch?) nachweisen in der Studien-Literatur über Softgetränke und deren Wirkungen (z.B. durch Zusätze wie Vitamine, Kalzium usw).

Was sollen wir lange reden, lest selbst wie wir das in der SZ zusammengefasst haben, (weil es nicht online ist, nachfolgend der Text der Meldung).

Die Originalstudie und der Kommentar:

Und hier unser Beitrag aus der SZ (Ressort Wissen, 12. September, S. 16), als unseren Beitrag zum Thema open access):

Gesüßte Limostudien

Forschung im Schatten der Nahrungsmittelindustrie

Einen Multivitaminsaft mit Kalzium kauft man doch doppelt so gerne, wenn eine wissenschaftliche Studie bestätigt, wie gesund er ist. Nahrungsmittelfirmen in den USA setzen immer häufiger auf die positive Aura der Wissenschaft, um die heilsame Wirkung ihrer Produkte zu betonen. Doch Verbraucher sollten aufpassen. Die von Firmen bezahlten Untersuchungen fallen auffallend häufig zugunsten des Geldgebers aus.

Dieses Muster fand ein amerikanisches Forscherteam um Lenard Lesser vom Children’s Hospital in Boston in wissenschaftlichen Studien über Fruchtsäfte, Cola, Limo oder Milch (PLoS Medicine, online). Kritiker werten dies als Hinweis darauf, dass Firmen die Wissenschaft dazu nutzen, um ihre Produkte mehr positiv als objektiv darzustellen.

Zu ermitteln, woher Forscher ihr Geld bekommen, ist gar nicht so einfach, wie Lesser und seine Kollegen feststellen mussten. Von 203 Beiträgen, die sie in der größten medizinischen Literaturdatenbank Medline für die Jahre 1999 bis 2003 aufspürten, war nur bei 111 der Finanzier angegeben. 24 dieser Studien wurden komplett von Firmen bezahlt, 52 Autoren erklärten, dass sie kein Geld von Firmen erhalten hätten. Der Rest wurde teilweise von der Wirtschaft finanziert.

„Die Chance, dass ein Artikel oder ein Forschungsergebnis zugunsten eines Getränks ausfällt, ist vier- bis achtmal höher, wenn die Autoren ihr Geld von einer Firma erhielten”, errechneten Lesser und seine Kollegen. Dieses Ungleichgewicht war besonders deutlich, wenn es sich um sogenannte Interventionsstudien handelte, bei denen die Wirkung eines Getränks an Testpersonen untersucht wurde. In allen 16 von Firmen gesponserten Untersuchungen hatten die Forscher nichts Negatives über die Produkte zu berichten. Stammte das Geld hingegen aus gemischten Töpfen oder war keine Firma beteiligt, gab es in sieben von 19 Studien auch klare Kritik am Produkt.

Martijn Katan von der Freien Universität Amsterdam warnt in einem Kommentar in PLoS Medicine zwar davor, Firmensponsoring generell zu verurteilen: Mithilfe von Unilever sei entdeckt worden, dass Transfette das Herz gefährden. Nestlé trug dazu bei herauszufinden, dass ungefilterter Kaffee das Cholesterin erhöhen kann.

Der Ernährungswissenschaftler weist aber auch darauf hin, dass es eine Menge Manipulationswege gebe, um eine positive Wertung zu erreichen: „Das geht von der Auswahl der untersuchten Effekte, über den Studienaufbau bis hin zur Auswahl der Ergebnisse.” Das von Lenard Lesser aufgespürte Muster sei ein Hinweis dafür, so Katan, dass nicht nur in der Medizin mit allen Tricks gearbeitet werde, um Produkte zu präsentieren, sondern auch in der Nahrungsmittelindustrie.
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Ein Bein ist kein Bein

Fangen wir mal ganz langsam an im neuen Jahr.

Wissenschaft ist schon verdammt kompliziert, mit all diesen Fremdwörtern, den Statistiken, den komplizierten Fragen und oft ebenso komplizierten Antworten.

Doch manchmal ist sie auch ganz einfach.

Denn in der Wissenschaft gilt der gute alte Tresenspruch: "Ein Mal ist kein Mal." respektive "Auf einem Bein kann keiner stehen."

Genau wie wir in unserer Stammkneipe ganz automatisch nach dem zweiten Bier verlangen (oder besser: Das Kaltgetränk findet ganz automatisch den Weg zu uns.), sollte es auch in der Wissenschaft sein, wenn es um Entdeckungen und wissenschaftliche Belege geht.

Will sagen: Jede Entdeckung oder jeder wissenschaftliche Nachweis ist erst was wert, wenn das Ergebnis von unabhängiger Seite bestätigt wird (auch wenn alle immer so tun, als ob es anders wäre).

(Leute, das ist ein echtes Killerargument, das man verwenden kann, bevor man sich all der anderen komplizierten Details widmet.)

Begründung: "Da könnte ja sonst jeder kommen ... " (also zum Beispiel ein Safthersteller, oder ein Produzent von Nahrungsergänzungsmitteln im Nanometerbereich oder ein Luftaufbereiter.)

Also: Kommt ein Safthersteller, oder ein Produzent von Nahrungsergänzungsmitteln im Nanometerbereich oder ein Luftaufbereiter uns blöd und meint: "Hey, ich hab´ hier eine wissenschaftliche Studie, die die Wirkung unseres Produktes belegt." und er hat nicht mehr zu bieten, kann unsere lapidare Antwort nur lauten:

"Ey, Chef, ein Mal ist kein Mal." respektive "Ey, Chef, auf einem Bein kann keiner steh´n."

Und eines sollte man nicht vergessen. Es geht eigentlich gar nicht um die Anzahl der wissenschaftlichen Nachweise, sondern um die Anzahl der unabhängigen wissenschaftlichen Nachweise.

Will diesmal sagen: Kommt uns der Safthersteller, der Produzent von Nahrungsergänzungsmitteln im Nanometerbereich oder der Luftaufbereiter erneut blöd und meint: "Ich habe aber zwei wissenschaftliche Studien machen lassen."

Dann kann unsere Antwort nur lauten: "Hey, Alter, aller guten Dinge sind drei."

Und dieses Spiel treiben wir so lange weiter, bis uns Safthersteller, der Produzent von Nahrungsergänzungsmitteln im Nanometerbereich oder der Luftaufbereiter die erste unabhängige wissenschaftliche Studie vorlegt.

Und dann können wir mal weiter sehen.

Take home message: "Kommt Dir jemand mit ´ner Studie, bestell´ erstmal ein Bier."

Zusatz:
Damit die ganzen Google-Sucher diesen wertvollen Tipp auch finden: Cellagon, neosino, Airnergy.
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Den Rückblick 2006 ...

... hat diesmal die New York Times für uns übernommen. Monat für Monat. Auf ein Neues.
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Feierabend, für dieses Jahr

Bevor wir hier die Tore für dieses Jahr schließen, noch zwei Tipps für die kommenden Tage. Mal nichts zum Lesen, sondern zum Schauen (Flash Player 9 notwendig). Beides sind Vorträge vom IQWiG-Herbst-Symposium 2006.

IQWiG ist das Institut für Qualität und Wirtschaftkichkeit im Gesundheitswesen, und wenn man es kurz machen will eine Art TÜV oder Stiftung Warentest für Medikamente und Therapien.

Für den ersten Beitrag stellen wir uns mal janz dumm und frachen: "Wat is eigentlich ein Placebo, upps, ahm, Pazebo?".

Antwort gibt Jürgen Windeler.

Und wer sich für´s nächste Jahr viel in punkto Gesundheit, Sport usw. vorgenommen hat, weil hofft dem Tod ein wenig später von der Schippe zu springen, der werfe vorher noch einen Blick auf den Vortrag von Ingrid Mühlhauser. Dann ist das schlechte Gewissen nachher nicht ganz so schlecht.

So, das war´s für dieses Jahr (wahrscheinlich). Allen Euch, die sich immer wieder hier hin verirren ein frohes Fest und einen guten Rutsch ins neue Jahr.

Wir melden uns zurück im Kampf gegen Scharlatane und Pseudowissenschaft. Auch nächstes Jahr gibt es wieder lässige Texte über haarsträubende Wissenschaft.

Wir sind Plazeboalarm. Klar soweit?

Demnächst mehr, hier bei Plazeboalarm.
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So macht man das

Gute Arbeit, weiter so verehrte Neela Richter.

Nature als Werbeplattform für eine Rucksackfirma, und alle haben die Geschichte mitgemacht.

Adlerauge Richter, wir ziehen unseren Hut.

Vereherte Kollegin, kannst ins Wochenende gehen. ...
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Blubbern für mehr Leistung

Wir müssten uns um Airnergy kümmern. Schaffen wir aber nicht. Brauchen wir auch nicht. Die Jungs von Boocompany haben die ja schon lange auf dem Kieker.

Also, wer wissen will, was es mit den angeblich Ausdauer fördernden Blubber-Geräten auf sich hat: Folgen Sie diesem Link.

Das Verbrauchermagazin WISO hatte seinen rührigen WISO-Detektiv am 4.12. losgeschickt, um dem mal nachzugehen. Fazit: Es wird eine Wirkung versprochen, die wissenschaftlich nicht belegt ist u.a.

Seht selbst, die komplette Sendung gibt es hier, einfach bis zur Minute 17:55 vorspulen.

Pikant: Eine von der Firma in Auftrag gegebene Studie an der Sporthochschule Köln erbrachte keine Unterschiede in der Leistungsfähigkeit zwischen Probanden mit und ohne Blubber-Unterstützung. Prompt will die Firma von der Studie nichts mehr wissen, weil sie angeblich fehlerhaft ist – und deshalb vor Gericht zieht.

Nachtrag:
Warum eigentlich so zimperlich. Airnergy widerspricht dem Vorwurf, die Firma werbe damit, dass mit einer Airnergy-Therapie schwere Krankheiten geheilt werden könnten. (Gleichzeitig nutzt sie ausgiebig die Möglichkeit, den EXPRESS-Artikel über eine an Multiple-Sklerose Erkrankte, die ihre Gesundung auf Airnergy zurück führt, auf der Website zu featuren.)

Aber wie gesagt: warum so zurückhaltend (okay, das ist einfach gesetzlich verboten), in Amiland macht es der Vertreiber eng(hoch3) einer ähnlichen (gleichen?) Technik ganz anders:
"Are You Suffering from Chronic Disease, Life-Limiting Health Disorders, Sapped Energy, Low Athletic Performance, Early Aging or Other Effects of Dangerous and Destructive Excess Free Radicals?

Users know-and doctors agree-that by breathing Activated Air for as little as 20 minutes per day, you can combat common, debilitating and even deadly diseases, retard the aging process and live a more powerful, more energized life."
Interessante indirekte Connection: Forschung zum Thema des Singulet-Sauerstoffs kommt auch aus Deutschland:
"Delta-ge Research Results: Delta-ge is a research consortium made up of three of Germany’s leading institutes: Fraunhofer Institute, Humbolt University, UFZ Center for Environment Research, Leipzig-Halle GmbH. This German content site explains that energy is transferred from Singlet Oxygen to water molecules.
Singlet Oxygen and Water: “A totally new field of application is the excitement of water by Singlet Oxygen whereby its excitement energy is directly transferred to water. Remarkably, this water is improving the metabolic process.” www.delta-ge.de
Der Gründer des US-Blubber-Vertriebs eng(hoch3) ist ein Deutscher: Hans(-Joachim) Eng.

Und die Firma wirbt vor allem mit deutschen Sportlern, die angeblich ihre Leistungsfähigkeit mit aktiviertem Sauerstoff gesteigert haben sollen, u.a unser aller Franzi van Almsick oder Biathlet-Star Frank Luck.

Auch Airnergy wirbt ja mit deutschen Sportlern aus dem Rennfahrerbereich.
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