Titel, Titel, Titel

Wem es vielleicht aufgefallen ist, hat gemerkt, dass wir es hier bei Plazeboalarm nicht so haben mit dem Nennen von Titeln, die es in der Wissenschaft ja reichlich gibt. Bei uns heißt es Herr oder Frau XY, und nicht Herr Dr. SoUndSo oder Frau Prof. Dr. TiteliTü.

Was sollte das auch bringen? Der Titel ist ja keine Garantie dafür, dass das, was diese Person (ein vermeintlicher Experte) sagt oder macht, richtig ist. Auch wenn viele PR-Abteilungen versuchen, Laien und Journalisten damit zu beeindrucken.

Uns ist sowas immer ein wenig suspekt. Wir können es aber auch verstehen, wenn die PR-Kollegen die Titel nennen, sonst gibt es ja vielleicht einen auf den Deckel. Und dass Marketingabteilungen auf jedes Mittel setzen, um Laien zu benebeln, versteht sich von selbst.

Machmal übertreiben sie´s aber auch, wie zum Beispiel im Fall von Neosino, über die wir ja schon berichteten (Nanomineralien und der FC Bayern München).

In einer Pressemitteilung vom 13. April zeigt sich die Presseabteilung besonders devot gegenüber einem Herrn Bergmeister, dem Technischen Direktor der Brennerautobahn.

Der hat einiges studiert in seinem Leben, und die Neosino-PR-Menschen sahen sich wohl genötigt, dass auch zum Ausdruck zu bringen.

Sein voller Name mit allen Titeln lautet (bitte festhalten):

Univ. Prof. Dipl. Ing. Dr. phil. et Dr. techn. Konrad Bergmeister

Lieber Herr Bergmeister, bei allem Respekt, Sie haben da ja wohl nicht darauf bestanden, oder?

Wir wollten Euch das nicht vorenthalten.

Nachtrag:
Außer Neosino hat es bisher wohl noch niemand für nötig gehalten, diese Titel-Latte zu nennen, wenn man Google glauben kann.

Nachtrag 2:
Upps. Die Jungs von Neosino haben offensichtlich ein O. vergessen, wie ein Blick auf die Universitätshomepage des Herrn Bergmeister verrät.
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SuperSuperSuperGau

Dass sich der Tag der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl (26. April 1986) unaufhaltsam nähert, merkt man auch an der erhöhten Schlagzahl der Artikel und Berichte über das Ereignis.

Beliebtester Begriff in diesem Zusammenhang ist natürlich der GAU oder aber der Super-GAU.

(Ihr merkt schon worauf wir hinaus wollen?)

In einem Ansturm von Besserwisserei ereiferte sich ein Teil unserer Redaktionen (in dem Fall ich) darüber, wie man denn bitte den Begriff Super-GAU verwenden könnte. Und dass, wer den benutzt, sich selbst entlarvt als reißerisch veranlagter Journalist, der weit davon entfernt ist, journalistisch seriöse Arbeit abzuliefern (Das ist uns vor einigen Monaten schon mal passiert).

Manchmal ist es besser seinen eigenen Kenntnisstand zu überprüfen (Schrieben wir "manchmal" ... ?).

Ein kurzer Blick in die Wikipedia: Was ist eigentlich ein GAU?:
"GAU ist ein Akronym. Die Buchstaben stehen für Größter Anzunehmender Unfall."
Klar, das wussten wir schon. Wenn das also schon der größte anzunehmende Unfall ist, dann kann es logischerweise keinen Super-GAU geben.

Aber, lesen wir weiter:
"... Der schwerste der Auslegung nach noch beherrschbare Unfall wird dabei als GAU bezeichnet, weil er der größte für die Auslegung der Anlage angenommene Unfall ist."
Upps. Offenbar geht es gar nicht um die denkbar größte Katastrophe überhaupt, sondern um den größten gerade noch in den Griff zu kriegenden Unfall.
"Bei Kernkraftanlagen bezeichnet der Begriff GAU den größten anzunehmenden Unfall, den die Sicherheitssysteme noch so weit beherrschen, dass daraus außerhalb der Anlage keine über den zulässigen Grenzwerten liegende radioaktive Strahlenbelastung resultiert."
Dann wäre der Begriff Super-GAU doch angebracht, oder? Tschernobyl war offensichtlich nicht beherrschbar, es trat Radioaktivität aus, die sämtliche jemals festgelegten Grenzwerte übertraf, ergo war es größer als der GAU.

Oder ganz genau:
"Mit Super-GAU wird ein Unfall bezeichnet, der die Auslegung der Anlage überschreitet. Manche bezeichnen diesen Begriff als Pleonasmus, da ein Superlativ die höchste Form der Steigerung darstellt. Da ein GAU jedoch nicht der maximale Schaden, sondern streng genommen nur eine Auslegungsrandbedingung ist, ist eine Steigerung durchaus möglich: ein Unfall, der so schlimm ist, dass für ihn die Sicherheitstechnik nicht mehr ausgelegt ist."
Okay, wir senken unser Haupt, (also ich mein Haupt) in Demut. Um ihn sogleich wieder zu heben mit dem Einwand: Wikipedia ist ja nicht die Bibel. Wer sagt das überhaupt, woher kommt die Definition für GAU. Quelle? Fehlanzeige.

Was sagt denn der 24-bändige Brockhaus, 20. Auflage zum GAU? (äh, wie verlinken wir denn da jetzt?)
" ... in der Reaktorsicherheit nicht mehr verwendeter Begriff ... . (auch gut)
... der als Auslegungsstörfall den sicherheitstechn. Überlegungen zugrunde gelegt wird. ... "
Aha, also etwa dasselbe, oder? Und weiter zu Super-GAU:
" ... In der öffentlichen Diskussion um die Sicherheit von Kernkraftwerken wird v.a. von den Medien der Begriff GAU, häufig emotional verstärkt als Super-GAU, auf alle schweren, überhaupt denkbaren oder hypothet. Störfälle und ohne Beachtung ihrer Einrittswahrscheinlichkeit angewendet, so auch auf die Reaktorunfälle in den Kernkraftwerken Three Mile Island (...) und Tschernobyl (...), bei denen Sicherheitsdefizite und gravierende Fehlbehandlung des Betriebspersonals eine ausschlaggebende Rolle spielen, ... "
Mhm, sind wir jetzt schlauer? Kann uns wer helfen? Ihr seht uns ein wenig ratlos.

DARF MAN DENN JETZT SUPER-GAU SAGEN ODER NICHT?

Dürfen schon, aber ist es sinnvoll, präzise, sagt es etwas aus, liefert es mehr Information? Und wenn ja, welche?

... ?

Nachtrag:
Renate Künast (Die Grünen) schreibt in ihren Erinnerungen an die Tschernobyl-Katastrophe vor zwanzig Jahren in Spiegel Online immer nur vom GAU.
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Schon vergessen

Erinnert sich noch jemand an die Vogelgrippe?
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Mein Medikament ist das bessere, natürlich

Komm, schieben wir das hier noch schnell hinterher, noch ein Pharmafirmenbashing (to bash).

Quizfrage: Wie garantiere ich, dass mein Medikament, das mich Millionen in der Entwicklung gekostet hat, auch tatsächlich besser ist, als das Konkurrenzprodukt?

Antwort: Ich unterziehe es in fünf Studien einem Direktvergleich mit dem Konkurrenzprodukt und - es geht in allen fünf Untersuchungen als besseres Medikament hervor.

Super ;-)

Super? Wenn es nun mal besser ist, sollte es auch so herauskommen, oder?

Ja, klar. Blöd nur, dass in drei von vier Tests, die die Konkurrenzfirma durchgeführt hat, das Konkurrenzprodukt besser war.

Oh ...

janssen

Worauf wir hinaus wollen? Wir wollen verdeutlichen, wieso es wichtig ist, dass Medikamente von unabhängigen Medizinern getestet werden. Die also nicht auf der Gehaltsliste der Firma stehen, dessen Produkt sie testen.

Denn immer wieder zeigt sich, dass Medikamententests so verlaufen, wie es sich der Auftraggeber wünscht: Sein Produkt/Medikament schneidet am besten ab. Das kann daran liegen, dass es besser wirkt, aber in neun von zehn Fällen ...?

Aktuelles Beispiel: Antipsychotika, Mittel, die gegen Psychosen helfen. Der Pharmariese Eli Lilly testet in fünf Studien sein Mittel Zyprexa gegen Risperdal des Konkurrenten Janssen-Cilag. Wer hat gewonnen?

Und als Janssen-Cilag die beiden Arzneien in vier Studien gegeneinander antreten lässt, wer hat in drei von vier Fällen die Nase vorn?

Oder etwas allgemeiner: Als der Psychiater John Davis und seine Kollegen jede öffentlich verfügbare Studie untersuchten, in denen fünf neue Antipsychotika gegeneinander antraten, zeigte sich welches Muster? Genau: In neun von zehn Fällen war das Mittel des Studiensponsors am besten.

Woher wir das alles wissen? Anstatt Eier zu bemalen, haben wir die Washington Post gelesen. Und die haben das American Journal of Psychiatry studiert.

Wer also mehr dazu wissen will, der lese es selbst nach. Wir müssen Eier suchen gehen.

Frohes Fest.
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Guter Rat Nr. 3

Sollten Sie irgendwo in einer Werbung für Kosmetika oder Nahrungsergänzungsmittel Begriffe lesen wie:
  • Studie
  • klinische Studie
  • wissenschaftliche Studie
  • wissenschaftliche Untersuchung
und es wurden weniger als, ähm, sagen wir mal 100 Personen untersucht, dann tun sie doch einfach mal so, als gäbe es diese Studie gar nicht.

P.S.: Nehmen Sie das einfach mal als Hausnummer. Es ist natürlich alles viel komplizierter, aber für die erste Orientierung reicht´s vielleicht.

Nachtrag:
Und wenn nur auf eine Umfrage verwiesen wird (meist mit *), vergessen Sie es gleich. Einfach weiter blättern. Das ist nicht ernst gemeint, das soll nur so aussehen wie Wissenschaft.

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Krankheiten, neu erfunden

Am Mittwochabend jemand beim Pokalhalbfinale FC St. Pauli gegen FC Bayern Neosino München mal einen genaueren Blick auf die Bandenwerbung geworfen?

www.mann-info.de auf Viagra-blauem Hintergrund gesehen? Die URL später in die Adresszeile des Browser eingegeben und die Seite gefunden, um den Satz zu lesen: "Guter Sex tut gut – in jeder Beziehung."? Und sich dann die Seiten durchgelesen, und vielleicht Zweifel bekommen, ob man nicht vielleicht unter einer Erektilen Dysfunktion leidet (Also, wenn Mann mal nicht kann)? Darüber nachgedacht, unbedingt zum Arzt zu gehen und ihm klar zu machen, dass man Viagra braucht? All das gestern abend passiert?

zur Seite von PLoS Medicine, Illustration: Anthony Flores

Das ist genau das, was Pfizer damit bezwecken wollte. Den Eindruck erwecken - nur weil es zuletzt mal nicht geklappt hat oder auch mal öfter nicht gepklappt hat - dass man eigentlich eine Krankheit hat (obwohl vielleicht einfach nur Stress die Ursache war).

Dieses Jemanden-vom-Fernseher-durch-Bandenwerbung-
zum-Arzt-bringen-und-unser-Produkt-fordern
ist Teil einer Marketingstrategie von Pharmafirmen, die Fachleute als Disease mongering bezeichenen.

Das ist ein schwierig zu übersetzender Begriff, den man plump als Krankheiten erfinden translatieren könnte, um so die Kranheitszone und damit die Verkaufszone auszuweiten.

Mongering ist eigentlich der Handel (passt ja). phrase mongering ist die Phrasendrescherei. Sensation mongering ist die Sensationsmacherei, aber auch die Sensationslust. (Dank an LEO.org für eure tolle Übersetzungsseite).

Durch die anderen Begriffe bekommt man vielleicht ein Gefühl dafür, was Disease mongering ist. Es hat etwas mit Übertreibung zu tun. Das Thema ist inzwischen so bedeutend in der Medizin, dass es jetzt eine Konferenz im australischen Newcastle dazu gab.

Das Fachmagazin PLoS Medicine hat freundlicherweise elf Beiträge von Teilnehmern online gestellt.

Dort erfährt der erstaunte Laie zum Beispiel wie Pfizer die Erectile Dysfunktion (klar jetzt?) neu definiert hat. Und einen so dazu bringt, zu glauben, dass eigentlich nur eines hilft, wenn Mann schlapp macht: die blaue, rautenförmige Pille.

Oder: Wie Lehrer mit dazu beitragen, dass Kinder als "Zappelphillipe" abgestempelt werden, ADSH diagnostiziert wird (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom mit Hyperaktivität) und Ritalin verschrieben bekommen. Und damit zum kräftigen Anstieg der Verkaufszahlen beitragen.

Oder: Wie Frauen ganz subtil eingeredet wird, im Bett keine Lust zu haben, sei ein klarer Fall von Weiblicher Sexueller Dysfunktion (also eine Krankheit, die man behandeln muss).

Leider sind alle Texte in Englisch, was ja nicht jeder beherrscht. Eine deutsche Zusammenfassung gibt es derzeit hier. Sicher bald auch in anderen Zeitschriften und Zeitungen.

Gebt uns doch bitte Bescheid, wenn Ihr Beiträge dazu gefunden habt, damit auch nicht-Englisch sprechende Menschen ein wenig hinter die Kulissen gucken können.

Ansonsten empfehlen wir natürlich das Magazin Gute Pillen - Schlechte Pillen, das in der aktuellen Ausgabe die verkappte Viagra-Werbung (mit dem Hinweis auf www.mann-info.de) in vielen Magazinen auseinander nimmt.

Bleibt standhaft.

Hinweis:
Auch wenn es mal wieder gegen Pharmafirmen geht, sind die Allergiker unseres Teams natürlich heilfroh, dass die gute Mittel gegen unseren Heuschnupfen entwickelt haben. Das ermöglicht uns schließlich, unbeschwert unsere Artikel zu schreiben.

Nachtrag:
Unser Lieblingsautor Ben Goldacre leistet eine notwendige und erhellende Ergänzung zum Thema. Es sind natürlich nicht nur die Pharmafirmen, die für uns neue Krankheiten erfinden oder vorhandene übertreiben, um die Verkaufszone auszuweiten.

Es sind natürlich auch die Medien beteiligt, die liebend gerne über Studien berichten wie etwa die Daily Mail, die kürzlich meldete: "Night Eating Syndrome (etwa das "Nächtliche Heißhunger-Attacken Syndrom", Syndrom muss rein, sonst wär es ja keine Krankheit) betrifft etwa eine Million Briten. Aber bei 30 Prozent der Betroffenen lindere der Wirkstoff Setralin (ein Antidepressivum) die Symptome."

Die Daily Mail bezieht sich auf eine Studie von Pfizer mit (Achtung!) 17 Probanden (keine Kontrollgruppe, kein gar nichts). Kommentar Goldacre: "Pfizer hat nicht all zu viel tun müssen, damit über die Studie berichtet wurde."

Und es sind natürlich auch alle potenzielen Nutzer gefragt, die in Anflügen von Hypochondrie jedes Kneifen als Vorboten einer bisher unbekannten Krankheit verdächtigen. Und kritiklos (oder auch einfach unwissend, weil nie gelernt) alles aufsaugen, was ein Mann in weißem Kittel mit Sorgenfalten auf der Stirn von sich gibt.

Ben Goldacre: "... wir sind alle Beteiligte in diesem Spiel."
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