Jetzt können wir uns gar nicht entscheiden, wie wir die Geschichte, die wir dem interessierten Leser erzählen wollen, aufziehen sollen.
Es könnte so beginnen:
Es gibt so´ne und so´ne, sagt der Volksmund. Zum Beispiel Fachmagazine. ...
Oder wie wäre es damit:
Das könnte der Beginn einer ganz großen Werbekampagne werden. ...
Worauf wir hinaus wollen? Die Nachrichtenagentur
ddp berichtet über eine angebliche Innovation für die Zahngesundheit:
Produkte wie Kaugummi u.a. angereichert mit einem von BASF neu entdeckten Milchsäurebakterium. Es soll Karies verhindern helfen, indem es sich an den Hauptverursacher, die Streptokokken, heftet. Diese verklumpen und können leichter von den Zähnen weggespült werden ... oder so ähnlich. Die BASF-Foscher haben es sinnigerweise
Lactobacillus anti-caries genannt, auch
L. anti-caries. Das erste Produkt - ob Kaugummi, Zahnpasta oder was auch immer ist unklar - soll 2007 erscheinen.
Spiegel Online hat die Meldung übernommen (
und ein klein wenig umgeschrieben).
Jetzt stellen wir uns die Frage: Wo kommt diese Meldung her? Wir sind ja von Natur aus misstrauisch, wenn Firmennamen im Spiel sind. Im (Spiegel-)Artikel steht:
"... schreiben die Forscher im Fachmagazin Chemistry & Industry. ..." (bitte Nachtrag weiter unten beachten!)
So etwas findet man ja immer wieder in Wissenschaftsmeldungen: "
... schreiben die Forscher in Nature ... " oder "
... wurde heute im Fachmagazin Science veröffentlicht ...". Ein Journalist macht damit klar, woher er seine Informationen hat und wo die Forscher ihre Ergebnisse veröffentlicht haben.
Und genau hier macht jetzt unser erster Artikeleinstieg Sinn:
Es gibt eben so´ne Fachmagazine und so´ne Fachmagazine.
Fachmagazine wie
Science und
Nature zeichnen sich durch etwas aus, das Wissenschaftler
peer-review nennen. D.h. jeder Forschungsartikel durchläuft ein Gutachterverfahren. Details dazu
hier. Es gibt also einige Hürden zu nehmen. Auch dieses System hat seine Fehler und Schwächen, aber viele glauben, dass es eigentlich nichts besseres gibt.
Vor allem ist es besser als das System der "anderen" Fachmagazine, zu denen vermutlich "
Chemistry & Industry" zählt (
wir eruieren das gerade) .
Dort berichtet zum Beispiel ein Forscher über seine Ergebnisse (
Milchsäurebakterien in Kagummi). Wenn er nicht allzu Abstruses erzählt, kann er da eine Menge erzählen. Zum Beispiel, dass diese Kombination wirkt.
Überprüfen kann das erst einmal keiner. Und manchmal werden solche Artikel auch bezahlt - von der Herstellerfirma. Da geht es dann gar nicht mehr um die Wahrheit, sondern nur noch um PR. Ob das bei
Chemistry & Industry der Fall ist, können wir natürlich nicht sagen.
Für Menschen, die sich mit Wissenschaft nicht auskennen, steht in der Meldung nur "...
schreiben die Forscher im Fachmagazin Chemistry & Industry ...". Und das ist in diesem Fall ein klassischer
WiRT.
Die Meldung hat ddp übrigens
von der amerikanischen Pressemitteilungplattform EurekAlert. Die unterscheidet zwischen reinen
Forschungsmeldungen (
Breaking News) und
Wissenschaft- und Wirtschaftsnews (
Science Business News).
(
Wir eruieren gerade mal genau den Unterschied).
Die BASF-Meldung landete in der zweiten Rubrik, für uns zumindest ein Hinweis darauf, dass es eher um Wirtschaft als um Wissenschaft geht.
Und um jetzt noch zum zweiten Einstieg unseres Artikels zu kommen:
Das könnte der Beginn einer ganz großen Werbekampagne sein.
Denn letztlich geht es um ein Produkt ähnlich der Probiotika, also den Joghurts mit Milchsäurebakterien, die "die Abwehr stärken sollen".
Wartet mal ab, was da noch kommt. Wir verfolgen das sicher. Für sachdienliche Hinweise sind wir dankbar.
Ach so! Ob das jetzt tatsächlich alles so stimmt mit den Milchsäurebakterien und dem Karies, muss also erstmal noch bewiesen werden. In einer ordentlichen Studie, veröffentlicht in einem Fachmagazin. Ihr wisst schon, was für eines ;-)
Nachtrag:
Wir haben inzwischen den Original-Beitrag von
Chemistry & Industry bekommen. Und, upps, den haben gar nicht die Forscher selber geschrieben, wie die Phrase bei
Spiegel Online (s.o.) suggeriert, sondern die Journalistin Marina Murphy (
in der EurekAlert-PM ist das übrigens vermerkt).
Sie berichtet in mehreren kleinen Artikeln über eine
Konferenz, die BASF selbst veranstaltet hat (pdf).
Holzauge ...
Zusatz:
Wenn wir uns entscheiden müssten zwischen den beiden Artikelanfängen? Wir nehmen dann mal den Zweiten, mit der Werbekampagne. Leider verhilft
Spiegel Online durch die kleine Formulierung "... schreiben Forscher in ..." dem ganzen einen etwas größeren Hauch von Glaubwürdigkeit als es die Meldung auf der nach oben offenen Glaubwürdigkeits-Skala verdient hat.
Im täglichen Newsgeschäft passiert so etwas ständig ...
Das ist keine Entschudigung, sondern eine Erklärung.
Deswegen ist es wichtig, dass Leser sich wappnen und verstehen, wie solche Meldungen zustande kommen.
Finden wir.
...........................................................................................