Schimmelpilze unter deutschen Dächern

Wer Schutz verkauft, braucht eine Gefahr. Eine alte Weisheit aus dem Sicherungs- und Wachgewerbe. Auch Firmen, die Reinigungsmittel verkaufen, kennen die Strategie z.B. Reckitt-Benckiser, die Company hinter Sagrotan. Im TV-Spot verbreitet R-B folgendes:

Fakt ist: In jedem zweiten Haushalt gibt es Schimmelpilze.

Aha. Die Hälfte aller Haushalte in Deutschland kämpft mit Schimmelpilzen.

Moment. Wir haben zu Hause keine Schimmelpilze. Stefan hat auch keine. Meine Schwester hat keine. Meine Eltern haben keine. Torsten hat keine. Martin hat keine. Marc hat auch keine. Manuela hat keine. Steffi hat keine. Micha, ah, ja, die hatte letztens welche im Bad. Das wären also: Ein Haushalt von zehn (=zehn Prozent).

Wie kommt R-B auf jeden zweiten Haushalt (=fünfzig Prozent)?

Vielen Dank für Ihre Anfrage. Die Quelle für die Information ist die test-Umwelt-Analyse Schimmel im Haus mit dem Titel Gefährliche Mikroben aus der Ausgabe test 2/2001: „Besorgnis erregende Bilanz der test-Umweltanalyse Schimmelpilze: Fast jede zweite Probe von Raumluft war belastet.“

Hey, hey. Stiftung Warentest, das ist mal keine ganz so schlechte Quelle. Wenn Stiftung Warentest das sagt. Nur, was haben die getestet? Haben die zufällig ausgesuchte, repräsentative Haushalte besucht und nach Schimmelpilz gesucht, stellvertretend für die ganze Republik (es waren über 1700 Haushalte)?

Nicht doch, R-B. Die haben aufgerufen (und tun es noch), Raumluftproben zu schicken. Jeder der will.

Warum soll ich Raumluftproben schicken, wenn ich keinen Verdacht habe? Etwa, weil ich in einer feuchten Souterainwohnung wohne, oder weil ich letztes Jahr Schimmelpilz hinterm Küchenschrank entdeckt habe. Dann ist die Chance, einen Haushalt mit Schimmelpilz zu erwischen natürlich deutlich höher.

Liebe R-B, so erreicht man aber keine Auswahl von Leuten, die die Wohnverhältnisse im Kleinen für ganz Deutschland widerspiegeln (eine Stichprobe). Ihr habt doch studiert. Wissenschaftler nennen das einen Bias, das heißt, die Stichprobe hat schon von Grund auf eine Tendenz in eine bestimmte Richtung, sie hat Schlagseite (sie ist nicht repräsentativ).

Der Mann von Stiftung Warentest sagt:

Wir wissen nicht wie viele Wohnungen es in Deutschland mit Schimmelpilz gibt. Ich schätze mal vielleicht zehn Prozent.

Fakt ist: Das können wir mit unserer Stichprobe bestätigen.

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Guter Rat Nr. 2

Gehen Sie doch ab morgen einfach mal davon aus, dass nicht wirkt, was in Zeitschriften/TV- und Radiospots beworben wird.

Versuchen Sie es. Sie werden eine Menge Geld sparen.
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Der 7-Grad-Celsius-Gummi-Unsinn

7 Grad Celsius. Das ist die Grenze. Darunter werden Sommerreifen-Gummimischungen steinhart. Folge: Der ‚Grip’ geht verloren und damit die Fähigkeit den Wagen auf der Straße zu halten. Unfallgefahr. Lebensgefährlich. Also, unbedingt Winterreifen aufziehen.

Diesen Rat hören und lesen wir in diesen Tagen natürlich überall wie jedes Jahr (seit wann eigentlich genau?). Das ist einer dieser kurzen, handfesten Tipps fürs alltägliche Überleben. Ein Blick auf das Thermometer (inzwischen ja mit digitaler Nummernanzeige): „Oh ha, es hat 6,8 Grad Celsius. Ich muss die Reifen wechseln.“

Lassen Sie es. Das heißt, wechseln Sie schon irgendwann, nur nicht gerade, wenn das Thermometer die sieben Grad Grenze unterschritten hat. Sie können natürlich auch dann von Sommer- auf Winterreifen wechseln – wer sind wir, dass wir ihnen das verbieten wollten/könnten/dürften. Nur, was wir Ihnen mitteilen wollen: Es gibt keine überlebensentscheidende Notwendigkeit, den Reifen von Sommergummi auf Wintergummi zu wechseln mit der Begründung: „Es hat 7 Grad Celsius.“ (Falls Sie das etwa Ihrem Nachbar gegenüber begründen müssten.)

zur Pirelli-Seite

Es gibt keine Untersuchung, die das tatsächlich untermauert.

Wir schmücken uns hier mit fremden Federn. Eigentlich wäre das eine klassische PLAZEBOALARM-Nachfrage wert gewesen: „Sagen Sie mal Herr So-und-So-Reifenexperte, woher wissen Sie eigentlich, dass ab 7 Grad Celsius Sommerreifen nicht mehr funktionieren?“ Aber uns ist schon jemand zuvor gekommen.

Kollege Christian Wüst hatte das kürzlich im Spiegel (leider kostenpflichtig) mal genauer recherchiert:
Theoretisch stimmt die Thermo-These auch [dass Gummi härter wird bei sinkender Temperatur, Anmk. d. Red] – nur die Sieben-Grad-Grenze ist falsch. So früh härtet auch der Sommergummi nicht drastisch aus. "Der Sommerreifen hat entscheidende Vorteile auf trockener und nasser Straße, auch bei niedrigen Temperaturen", sagt Ruprecht Müller, Reifenexperte des ADAC. Die sieben Grad seien "völlig willkürlich" gewählt und durch keinen Testwert belegt.
Mal wieder handelt es sich um einen reinen Absatz fördernden Marketingtrick. Zu welchen Auswüchsen das führt, beschreibt Kollege Wüst auch: Pirelli wettet entlang der 7 Grad Celsius Grenze.

Gentlemen: Einen Toast auf Kollege Wüst, der in bester journalistischer Manier, so wie wir ihn bei PLAZEBOALARM verstehen, dem marketingtechnischen Unsinn die Stirn geboten hat.

Hipp hipp, Hurra.

Ober, das Hauptgericht.
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Wie die Pharmaindustrie uns hinters Licht führt,

beschreibt Marcia Angell in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Angell war viele Jahre Redakteurin des New England Journal of Medicine und hat nun in ihrem Buch "Der Pharma-Bluff" die Sachlage erneut dargestellt. Wir wollen aber hier nur eine Sache mal als Daumenregel, für den Aufwand neue Medikamente zu entwickeln und zu verkaufen, festhalten:
Laut Angells Berechnung belaufen sich die Forschungs- und Entwicklungskosten auf 15 Prozent der Gesamtausgaben; dem gegenüber liegen die Marketing- und Verwaltungskosten bei 32 Prozent.
Zu solchen Marketing-Gimmicks zählt auch die Kampagne Forschen ist die beste Medizin, die das schräge Image aufpolieren soll. Doch das ist zum Scheitern verurteilt, wie der Medizinjournalist Klaus Koch im Magazin der Wissenschaftspressekonferenz schreibt:
"Der Grund liegt daran, dass das schlechte Image auf einer tief greifenden Strukturkrise der Industrie beruht: Wer mit Pharmaforschern unter vier Augen spricht, der erfährt auch in deren Reihen Unzufriedenheit mit dem Zustand der eigenen Branche. Denn zunehmend haben sich die Firmen von einer forschenden zu einer werbenden Industrie entwickelt, die zudem ernsthaft mit Korruption zu kämpfen hat."
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Cholesterin-Spots 2: Vermutung bestätigt sich

Was bisher geschah.

Ein Fernsehspot für einen angeblich Cholesterin senkenden Joghurttrink und ein Spot, in dem eine Organisation vor erhöhtem Cholesterinspiegel warnt, werden innerhalb eines Werbeblocks erstaunlich kurz hintereinander ausgestrahlt.

Mindshare

Während Becel uns bisher eine Antwort schuldig bleibt, konnte uns die Agentur SevenOne Media, die für die Werbeblöcke bei Kabel 1 zuständig ist, eine Vermutung bestätigen. Der Becel-Werbespot und der Welt Herzstiftung-Spot laufen gekoppelt.

„Es ist in der Tat kein Zufall, dass die von Ihnen genannten Spots zuweilen in einem Block geschaltet wurden“, lautet die E-Mail-Antwort des freundlichen SevenOne Media-Mitarbeiters.

Und weiter: „Genau so wie es sein kann, dass Unternehmen aus derselben Branche - also Wettbewerber - nicht gemeinsam in einem Werbeblock auftreten wollen, ist es in diesem Fall eben genau andersrum. Mit unserer Offensive der Wunschplatzierung (...) fördern wir auch diesen Trend.“

Laut SevenOne Media ergeben sich durch die Wunschplatzierung ganz neue inhaltliche Synergieffekte: „Ein Mineralölkonzern kann seinen Spot beispielsweise bewusst nach dem Spot eines Automobilherstellers einsetzen.“ (Pressemitteilung vom 18. Oktober 2005)

Wo wir ebenfalls die Ohren spitzten: „Beide (Becel also Unilever und Welt Herzstiftung) sind buchende Kunden (…) der Mediaplanungsagentur Mindshare.“ Und: Der Spot der Welt Herzstiftung sei kein Social Spot.

Social Spot?

„Für Social Spots zahlen die Initiatoren/Initiativen/Vereine nichts. (…) Die Herzstiftung ist ein ganz normal zahlender Kunde, ebenso wie alle anderen Werbetreibenden, die sie im Werbeblock sehen. Ein Social Spot wäre beispielsweise für die Deutsche Behindertenhilfe“, erklärt uns der freundliche Medienmensch seine Welt.

Also: Becel-Spot und Welt Herzstiftung-Spot laufen nicht zufällig kurz hintereinander im selben Werbeblock. Sie wurden von derselben Mediaplanungsagentur betreut. Der Spot der Welt Herzstiftung ist kein Social Spot, wie es für solche unabhängigen, gemeinnützigen Organisationen üblich wäre, sondern wird bezahlt wie jeder andere kommerzielle Spot auch.

Mal sehen, was Mindshare uns dazu sagen kann und vor allem: Warum übersetzt man Federation (in World Heart Federation) mit Stiftung und nicht mit Verband?

Dies sind die Fragen, die uns umtreiben.

Demnächst mehr, hier bei PLAZEBOALARM.
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Beim Zähneputzen lässig bleiben

Was bisher geschah.

Ein schlechtes Gewissen plagt die Deutschen vor dem Badzimmerspiegel. „Ich putze nicht lange genug meine Zähne.“ Drei Minuten sagen Experten, mindestens.

Wer uns in solche Gewissenskonflikte treibt, wird seine Empfehlung sicher auf eine breite Datenbasis stützen. Unsere Anfrage an die Gesundheitsseite rundum Zahngesund des Deutschen Grünen Kreuzes in Marburg wurde weiter geleitet an Joachim Klimek, Professor an der Poliklinik Zahnerhaltungskunde und Präventive Zahnheilkunde in Gießen.

Er schickte uns eine Studie in Acta Paradontologica aus dem Jahre 1985. Probanden putzten sich in mehreren Durchläufen eine, zwei, drei und vier Minuten die Zähne. Die Zahnmediziner registrierten, wie gut die Personen ihre Zähne von Plaque befreit hatten. Nach drei und vier Minuten sah das schon besser aus als nach ein und zwei Minuten, aber: „Es entpuppten sich Lingualflächen (Innenseite) und Molarensegment (Backenzähne) als höchst reinigungsresistent.“ Auch nach vier Minuten.

Und: Das Ergebnis stützt sich auf die Zähne von gerade mal sechs Personen (vom Zahnärztlichen Institut mit „guter Zahnreinigungstechnik“) und die putzten ohne Zahnpasta. Richtig repräsentativ ist das nicht.

Mhm.

Der Autor der Studie erteilte einer Putzempfehlung von drei Minuten ein klare Absage: „Eine Reinigungszeit von drei Minuten (…) wäre bei weiten Bevölkerungskreisen ohne Aussicht auf Erfolg“. (Wo er Recht hat, … ) Große Studien ergeben immer wieder: In der Regel putzen die Menschen zwischen 30 Sekunden und einer Minute.

Joachim Klimek: „In den gängigen Lehrbüchern findet man keine Angaben zur Länge (…) des Zähneputzens.“ Über das Thema könnte man trefflich streiten, so Klimek. Es gebe keine sauber kontrollierten wissenschaftlichen Studien dazu.

Klimeks Fazit: „Grundsätzlich wäre es natürlich ideal, wenn jeder Mensch eine auf ihn zugeschnittene Empfehlung zur individuellen Mundhygiene erhalten würde. Da dies leider alles nicht so funktioniert wie wir möchten, müssen wir weiter mit Empfehlungen leben, die ein Kompromiss sind und im Detail wissenschaftlich nicht sauber belegt werden können.“

Unser Fazit: Morgens und abends lässig die Zähne putzen, auch mal etwas länger. Ein schlechtes Gewissen müssen nicht wir haben, sondern diejenigen, die eine drei Minuten Putzempfehlung ausgeben.
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aktualisiert: 12. Dez, 12:22
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